German Council Magazin 05.2018 - page 82

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GCM 5/2018
GERMAN COUNCIL . ACADEMY
städtebaulichen Schlusspunkt Unter den Linden
und einem Teil des Forums Fridericianum, das
sich vom Stadtschloss bis zum Gendarmenmarkt
erstreckte und glücklicherweise weitgehend
wieder aufgebaut worden ist.
Es ist geradezu beschämend, dass die historische
Ausstattung des Gebäudes durch private Spen-
denaktionen sichergestellt werden musste. Er-
freulicherweise sind mehr als 80 Millionen der
gut 100 Millionen Euro Mittel, die dafür benötigt
werden, bereits eingeworben.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist
noch Folgendes: Während die Deutschen zuMilli-
onen die prunkvolle historisierend gestaltete
Hochzeit des zweitge-
borenen Prinzen aus
dem englischen Kö-
nigshaus bewundern,
hat es die Stadt Berlin
nicht einmal für not-
wendig erachtet, den
heutigen Chef des
Hauses Hohenzollern
zum Richtfest des
Stadtschlosses in Ber-
lin einzuladen.
Was wäre das Weich-
bild der Stadt Dres-
den vom Canaletto-
Blick aus betrachtet
ohne die Frauenkir-
che? Es war dem Bür-
gersinn der Dresdner, der die Gehirnwäsche
durch den Kommunismus überstand, zu verdan-
ken, dass dieses stadtprägende Bauwerk wie-
dererrichtet wurde, um welches herum zudem
derts nicht fähig, über die Vergangenheit konst-
ruktiv nachzudenken. Wir waren dagegen, weil
ein moderner Architekt einfach nicht für die Idee
der Rekonstruktion sein kann. In Wahrheit aber
hatten wir oft nichts Besseres zu bieten.«
Ich möchte in diesem Zusammenhang abschlie-
ßend die These aufstellen, dass diejenige Archi-
tektur gut ist, die für den Menschen da ist, und
nicht, dass umgekehrt der Mensch eine gesichts-
und seelenlose Architektur zu erdulden hat. Da-
mit könnte man fast einen Bogen zu Weihnach-
ten schlagen, denn Weihnachten ist die Geburt
der Religion, die den Menschen in den Mittel-
punkt jedes Denken und Handelns stellt.
Ganz prosaisch führt aber eine den Menschen
gemäße und von ihnen akzeptierte und ge-
schätzte Architektur dazu, dass die entsprechen-
den Gebäude auch marktgängig sind und dann
nicht nach 30 Jahren der Abrissbirne zum Opfer
fallen, um den Zyklus erneut zu beginnen.
Abschließend möchte ich noch einmal Stephen
Green zitieren: »Deutschland ist ein Land mit ei-
ner Vergangenheit. Aber es ist auch ein Land mit
einer Zukunft, in der es – ob es nun will oder
nicht – die führende Rolle in der Weiterentwick-
lung des europäischen Projekts wird spielen
müssen.«
Mögen Deutschland und die Deutschen sich die-
ser Rolle selbst vergewissern, und mögen Stadt-
planung und Architektur weiterhin dazu beitra-
gen, städtische Ensembles zu schaffen oder wie-
der herzustellen, die dazu führen, dass die Deut-
schen (und die ausländischen Gäste in gleicher
Weise) Gefallen an ihrem Land finden, so wie
das für alle anderen europäischen Nationen
selbstverständlich ist. Dies ist die beste Voraus-
setzung für uns Deutsche, eine selbst vergewis-
serte führende Rolle bei der weiteren Integrati-
on Europas spielen zu können.
Ein Gastbeitrag von
Dr. Johannes Grooterhorst,
Eversheds Sutherland (Germany) LLP,
Düsseldorf,
- Beiratsmitglied
Bei diesem Text handelt es sich ursprünglich um
eine Rede, die anlässlich des Jahresabschlussdin-
ners des GCSC in Berlin gehalten wurde.
der Neumarkt gerade wieder entsteht. Es ist
dem Ruf aus Dresden von 1990 zu verdanken,
dass dieses so kam.
Anders als in vielen Städten hat der Bürgersinn
der Münsteraner dazu geführt, dass die vollstän-
dig zerstörte Innenstadt mindestens in ihrem
Grundriss und unter Verwendung der gotischen
Bauelemente wiedererbaut wurde.
In diesem Kontext zu erwähnen ist gleichfalls das
Braunschweiger Stadtschloss, das bekanntlich
die Firma ECE als Einkaufszentrum mit histori-
scher Fassade wiedererrichtet hat. Auch dieses
Gebäude füllt eine hässliche Baulücke inmitten
der Innenstadt Braunschweigs.
Zusammengefasst lei-
ten diese Beispiele zu
dem in den vergange-
nen Jahrzehnten erbit-
tert geführten Streit
über die Zulässigkeit
von Rekonstruktionen
über.
Hier ins Einzelne zu ge-
hen, wäre der Gegen-
stand eines separaten
Vortrags. Für mich gilt:
Die Geschichtlichkeit ei-
ner Stadt ist nur in ihren
Gebäuden erlebbar. Und:
Die Rekonstruktion von
Monumenten, die wir
heute bewundern, hat es in der Geschichte viel-
fältig gegeben. Dementsprechend muss der Ar-
chitekt Rem Koolhaas einräumen: »Die Architek-
ten waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
Stadtschloss Berlin
© LG Photography – fotolia.com
›Deutschland ist ein Land mit
einer Vergangenheit. Aber es
ist auch ein Land mit einer
Zukunft, in der es –
ob es nun will oder nicht – die
führende Rolle in der Weiter-
entwicklung des
europäischen Projekts wird
spielen müssen.‹
Stephen Green,
britischer Ex-Minister und Ex-Bankier
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