Page 15 - German Council Magazin 02.2019
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GERMAN COUNCIL . KONSUM
Es ist der Beginn der genossenschaftlichen
Bewegung im deutschsprachigen Raum. Bald
werden daraus die Raiffeisen-Warengenos-
senschaften entstehen. In ihnen schließen © nycshooter – istockphoto.com
sich Landwirte zusammen. Sie erwerben ge-
meinsam Saatgut und Tierfutter und sichern
sich dabei durch Großbestellungen Rabatte.
Gleichzeitig vermarkten sie zusammen über
die Genossenschaften ihre Ernten und schüt-
zen sich so davor, von Einkäufern übervorteilt
zu werden. Später folgen die Raiffeisenban-
ken – regionale Geldinstitute, bei denen die
Menschen auf dem Land ihre Ersparnisse an-
legen und Kredite erhalten können.
In den frühen Wirtschaftswunderjahren nach
dem Zweiten Weltkrieg steht die Landwirt-
schaft in Westdeutschland vor immensen
Herausforderungen: 17,5 Millionen Flüchtlin-
ge und Vertriebe aus den abgetrennten Ost-
gebieten, aus Polen, dem Sudetenland, Un-
garn und Rumänien haben die Zahl der Ein-
wohner in der 1949 neu gegründeten Bun-
desrepublik auf 53 Millionen Menschen stei-
gen lassen. Der Bedarf an Nahrungsmitteln
ist rapide gewachsen. Gleichzeitig finden die
Bauern kaum noch Knechte, weil die rasch
wachsenden Industrieunternehmen mit ihren
hohen Löhnen die jungen Menschen locken. 2009 startete der Fahrgastdienst Uber in den Vereinigten Staaten
Der Agrarwissenschaftler Erich Geiersberg
findet eine Lösung für die Krise. 1958 grün-
det er im bayerischen Buchhofen einen Ma- rund 192.000 landwirtschaftliche Betriebe nehmen der vermeintlich revolutionären Wirt-
schinenring. Landwirte tun sich zusammen, über Maschinenringe ihren Fuhr- und Geräte- schaftsordnung überhaupt als Vorbild für die-
um gemeinsam Traktoren und Mähdrescher park. »Mehr als 60 Jahre nach der ersten se taugen. »AirBnB in seiner heutigen Form
zu erwerben. Es ist der Beginn der mechani- Gründung sind die Maschinenringe immer basiert nicht mehr auf der Idee des Teilens,
sierten Landwirtschaft in Europa. 1963 exis- noch konsequent auf Wachstumskurs«, sagt sondern der Profiterzielung«, sagt Catella-
tieren in der Bundesrepublik bereits mehr als Erwin Ballis, Geschäftsführer des Bundes- Chefresearcher Beyerle. Und Michael Voigt-
300 Maschinenringe, etliche hundert weitere verbands der Maschinenringe. länder, Immobilienökonom beim Institut der
in Österreich, Italien, Frankreich und Großbri- deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sagt: »Was
tannien. Heute teilen sich in Deutschland 1956 wird Else Münch, Besitzerin eines nob- mit der eher idealistischen Idee des Couch-
len Cafés in der Mainmetropole Frankfurt, surfings zur Aufbesserung der finanziellen
wiederholt von Studenten angesprochen, ob Lage von Studenten begann, wird heute von
etlichen Leuten genutzt, um Maximalrenditen
unter ihren Gästen nicht jemand sei, der
© GoodLifeStudio – istockphoto.com und sie für einen kleinen Obolus mitnehmen Sharing-Economy will viel Geld verdienen
am Wohnungsmarkt zu erzielen.«
demnächst nach Köln oder München führe
könne. Münch spricht einige Vertreter an.
Die freuen sich über Begleiter bei den langen
Autofahrten. Die Café-Eignerin macht ein
Die Unternehmensgründer Chesky und
zweites Geschäft auf: Sie gründet die erste
Mitfahrzentrale Deutschlands – 63 Jahre vor
Programmierer hinzugeholte Software-Spe-
der Gründung von Uber. Gebbia sowie der bald nach dem Start als
zialist Nathan Blecharczyk sind längst Milli-
ardäre geworden. Und den wenigsten Zim-
Der Blick zurück zeigt: Die Idee der Sharing mervermietern geht es heute darum, Reisen-
Economy ist faktisch »alter Wein in jungen de aus anderen Kulturkreisen kennenzuler-
Schläuchen«. Und nicht wenige Ökonomen nen, sondern darum, Geld zu verdienen. »25
Uber: Per App mal schnell eine freien Wagen ergattern stellen sich die Frage, ob die Vorzeigeunter- Prozent der AirBnB-Vermieter in deutschen
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