Page 10 - German Council Magazin 04.2019
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GERMAN COUNCIL . MOBILITÄT




       Doch durch das Gewicht des über der Vorder-
       achse hängenden Wasserkessels ist das erste
       Automobil der Geschichte nicht zu lenken. Bei                                                              © media.daimler.com
       der Probefahrt kracht Cugnots »Fardier« – zu
       deutsch: Karre – gegen die Mauer des Pariser
       Arsenals. König Ludwig XV. ist dennoch so be-
       eindruckt, dass er den Offizier für die Erfin-
       dung mit einer jährlichen Pension von 600 Liv-
       re belohnt – dem stattlichen Jahresverdienst
       eines versierten Druckers der »Enzyklopädie
       der Wissenschaften, Künste und Handwerke«,
       dem großen Nachschlagewerk im Frankreich
       des 18. Jahrhunderts.

       1860 startet der nach Paris ausgewanderte
       Luxemburger Erfinder Jean-Joseph Étienne
       Lenoir den zweiten Versuch. Sein ebenfalls
       dreiräderiges »Hippomobile« wird von einem
       Wasserstoffmotor angetrieben, das Gas wäh-
       rend der Fahrt durch Elektrolyse aus Wasser
       gewonnen. Drei Stundenkilometer ist der Wa-
       gen schnell. Doch der Wirkungsgrad des Mo-
       tors beträgt nur drei Prozent. Ständig muss
       Wasser nachgefüllt werden. Die Idee floppt.

       Bertha Benz und ihr Haarnadel-Trick

       Der Durchbruch gelingt erst 1888 – durch die
       Kühnheit einer Frau. Der Mannheimer Ingeni-  Bertha Benz mit ihren Söhnen Eugen und Richard während der Fernfahrt von Mannheim nach Pforzheim mit dem
       eur Carl Benz hat mit seinem Patent-Motor-  Benz-Patent-Motorwagen im Jahr 1888. Nachgestellte Szene anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der ersten
       wagen das erste praxistaugliche, zuverlässi-  Kraftwagen-Fernfahrt
       ge Automobil konstruiert. Doch das von ei-
       nem einzylindrigen Benzinmotor  angetriebe-
       ne Fahrzeug findet zunächst kaum Abneh-  schnell, absolviert der Wagen die 106 Kilome-  und die hohen Kosten der Batterien. Das än-
       mer. Interessenten misstrauen der  Technik.   ter Strecke in neun Stunden. Mit einer Haar-  dert sich, als um 1890 herum leistungsstarke
       Benz‘ Frau Cäcilie Bertha setzt deshalb am 5.   nadel reinigt sie unterwegs die verdreckende   Akkumulatoren  entwickelt  und  immer mehr
       August jenes Jahres die 13 und 15 Jahre al-  Benzinleitung. Als die Bremshölzer abgenutzt   Häuser an  die wachsenden  Stromnetze an-
       ten Söhne Richard und Eugen in den Wagen   sind, lässt  sie diese bei einem Schuster durch   geschlossen werden. Elektromobile haben
       und  startet  mit  ihnen  –  ohne  Wissen  ihres   Lederbeläge ersetzen – und erfindet so den   nun  Reichweiten von rund 100  Kilometern
       Mannes – zu einer 106 Kilometer langen   Bremsklotz. Benzin erwirbt sie unterwegs in   und können  zuhause aufgeladen werden.
       Fahrt von Mannheim nach Pforzheim, um   der Stadtapotheke von Wiesloch – die so zur   Diesseits und jenseits des Atlantiks entste-
       ihre Eltern zu besuchen. 16 Stundenkilometer   ersten  Tankstelle der Geschichte wird. In   hen nicht nur immer mehr Neugründungen,
                                           Pforzheim angekommen verständigt Cäcilie   die benzin- und bald auch dieselgetriebene
                                           Bertha ihren Mann per Telegramm von der er-  Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren entwi-
                                           folgreichen Fahrt. Drei Tage später kehrt sie
                                                                               ckeln. Ebenso viele Unternehmen setzen auf
      © Torana – commons.wikimedia.org     zurück. Die Presse feiert das Abenteuer und   dazu Dixi, Henschel, Hercules, Lloyd, Sie-
                                                                               den Elektromotor: In Deutschland zählen
                                           mit Kindern und Automobil nach Mannheim
                                           den Wagen. Käufer stellen sich ein. Das Auto-
                                                                               mens, Stoewer und Vulkan.
                                           mobil beginnt, die Welt zu erobern.
                                                                               1901: Doppelt so viele Elektromobile
                                           Bereits 1839 verbindet der schottische Erfin-
                                           der Robert Anderson in Aberdeen die Hinter-
                                           achse eines Pferdewagens mit einem Elek-  wie Benziner in New York
                                                                               Bei der wohlhabenden Stadtbevölkerung, die
                                           tromotor. Den Strom liefert eine aus Zink,   einen  Großteil der Automobilkäufer stellen,
       Das »Hippomobile« des Luxemburger Erfinders Jean-  Kupfer und Schwefelsäure gebaute Batterie.   kommen die Elektromobile an. Sie stinken
       Joseph Étienne Lenoir. Zeitgenössische Darstellung,   Einen  Verkaufserfolg verhindert die geringe   nicht nach Kraftstoff, Öl und Abgasen. Und
       veröffentlicht in »Le Monde illustré« 1860  Reichweite von nicht einmal 20 Kilometern   anders als Fahrzeuge mit Verbrennungsmo-


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